06 / 2025
Maso-Management per Orga Tool
Selbstoptimierung als Erlösungsversprechen von uns selbst.
Sie heißen Getting Things Done (GTD), Timeboxing, Bullet Journal, Eisenhower-Matrix, Notion, Trello, Todoist, Evernote, Agenda usw.
Und sie versprechen nichts Geringeres als Arbeit und Leben in perfekter Fremd- und Selbstorganisation. Erst recht KI-assistiert.
Kann die Erlösung von uns selbst funktionieren?
Grafik: ChatGPT
Simuliertes Effizienzgefühl
Lilly ist gerade gut drauf. Während ihres Studiensemesters an der Uni in Boston hat sie Bullet/Journal („Write a better life“ ™) kennengelernt. „Ich organisiere damit sämtliche Tasks für meine Promotion“, erzählt sie stolz. Ich meine zwar, das sieht aus wie ein ästhetisch kuratiertes Museum für unerledigte Aufgaben. Aber ich glaube an sie und sage nichts.
Von Peter, dem Beraterkollegen weiß ich, dass er sich mit insgesamt sechs Notion-Workspaces führt. Einen davon nutzt er ausschließlich zur Planung der anderen Workspaces. Doch wenn am Freitagabend immer noch 43 Tasks offen sind, klappt er schon mal das Notebook zu - und greift zum Glas Rotwein, seiner Timebox für den Start ins Wochenende.
Oder Miriam. „Du brauchst kein Tool. Du bist das Tool.“ Das hat sie in einem Findungs-Coaching gelernt. Seitdem notiert sie alles mit Füllfederhalter auf handgeschöpftem Papier – und scannt es dann mit Evernote ein, um es in Zapier, ihrer „AI Orchestration Platform“, automatisiert nach Todoist zu schicken, wo es auf dem „Maybe“-Board der Vergessenheit entgegendämmert. Digitale Mülltrennung für Fortgeschrittene.
Personal Assistant als Maso-Tool
Seit Jahren erlebe ich regelmäßig, wie Freund:innen und Bekannte auf der Suche nach der finalen Ordnung in ihrem latent chaotischen Selbstmanagement einem Selbstoptimierungs-System nach dem anderen verfallen.
Der Outcome? Dauersuggestive Effizienzsimulation, Miro-Board gewordene Verzweiflung, personalisierter Push-Nachrichten-Terror: „Du wolltest um 7 Uhr joggen gehen“. Und wieder war der Cappuccino schneller. Das ist doch kein Leben.
Wir sind zu klug
Die Analyse fällt ernüchternd aus: GTD ist nicht zu kompliziert. Wir sind zu menschlich. Timeboxing ist kein dummes System. Wir sind nur zu klug, um uns stumpf danach zu richten.
Während wir versuchen, unsere Unzulänglichkeiten in Sachen Selbstorganisation mit supersmarten Tools zu kompensieren, hintergehen wir jedes noch so ausgefuchste System mit geradezu bösartiger Spontanität.
Warum machen wir es uns so schwer?
Als HR-verantwortlicher Agenturgeschäftsführer war ich viele Jahre lang damit betraut, neue Mitarbeiter:innen regelmäßig in die Grundlagen unserer Organisationsphilosophie einzuweisen. Bereits in den frühen 2000ern ging es uns darum, digital vernetzt, konsequent arbeitsteilig und themen- wie hierarchieübergreifend zu denken und zu arbeiten.
New Work in der Frühphase. Und als logische Konsequenz daraus: Die smarte, möglichst effiziente Verbindung von individuellem Selbstmanagement und organisationsweiter Managementkultur. Das Ende des analogen Time/system. Große Augen allenthalben.
Selbstmanagement als Technik des strategischen Vergessens
Ganz besonders habe ich mich immer auf jenen Moment gefreut, in dem ich sage: „Das Wichtigste, was wir im Zuviel-Informationen-Zeitalter beherrschen müssen, ist das aktive Vergessen der Informationen, die wir gerade nicht brauchen.“
Stirnrunzeln hier und da: „Aber wir dachten…“. Nein! Seit meiner Beschäftigung mit Organisationsphilosophie zu Beginn des Digitalzeitalters hat sich bei mir die feste Überzeugung gebildet: Wir unterschätzen den positiven Effekt des Vergessenkönnens als professioneller Technik mentaler Selbstentlastung auf unsere intellektuelle Leistungsfähigkeit auf geradezu dramatische Art und Weise.
„Your mind is for having ideas, not holding them.“
David Allen (Erfinder von GTD)
Wirklich produktives Selbstmanagement lebt von der Fähigkeit, unserer individuellen Talente und Kompetenzen auf das jeweils Wesentliche fokussieren zu können: auf die Aufgabe, die Herausforderung, die Situation, die Krise, die Chance, die Menschen etc..
Nicht umsonst bewundern wir jene, die in jeder auch noch so prekären oder verqueren Situation die zentrale Frage stellen, den entscheidenden Punkt ansprechen oder den erlösenden Blick out of the box werfen. Und das alles scheinbar auch noch völlig entspannt. What the F…!
Und warum können die das? Nicht, weil sie permanent versuchen, möglichst viele von den Informationen, die sie täglich umspülen, mittels fragwürdiger Tools und Techniken für alle Fälle der Fälle in ihren Hirnzellen vorzuhalten.
Professionelle Intuition
Sie können das, weil Sie alles vergessen können, was für das Momentum der richtigen Entscheidung, die gute Idee, die zielführende Eingebung, den coolen Move schlicht nicht gebraucht wird. Sie schaffen sich den notwendigen mentalen Freiraum für die Konzentration auf das Wesentliche: auf die aus Talenten, Kompetenzen und Erfahrungen gewachsene professionelle Intuition - als der herausragendsten Eigenschaft modernen Managementkompetenz.
Vergessen können. Hilft das wirklich?
Kommen wir wieder zu den Helferlein: Damit „Vergessen können“ zur aktiv einsetzbaren, sprich strategischen Fähigkeit der Selbstorganisation wird, muss im Kern nur eines geregelt sein: nichts Wichtiges zu vergessen. Ein Widerspruch? Keineswegs. Hier kommen wir an die neuralgische Stelle, an der so viele Tools und Systeme versagen: an der Mensch-Maschine-Schnittstelle.
Reduce to the max
Die Leistungsprämissen lauten: minimale Komplexität und maximale Plausibilität. Stattdessen suggerieren die meisten Tools: Mit mir kannst du alles Wichtige jederzeit verfügbar haben. Aber genau das brauche ich gar nicht, im Gegenteil.
Ich muss mich beispielsweise nur darauf verlassen können, dass mir in zwei Wochen mit einem Task die gesamte Komplexität eines aktuellen Projektes schnell, einfach und angemessen aufbereitet wieder zukommt. Dann bleibt genügend Zeit, mich auf das Meeting zwei Tage später effizient und fokussiert vorzubereiten. Bedeutet: Ich kann den ganzen Scheiß zwei Wochen lang komplett vergessen. Herrlich.
Souveräne Entscheidung statt Empathie-Fake
Die Mensch-Maschine-Kollaboration muss so simpel wie möglich funktionieren. Nur dann funktioniert sie dauerhaft gut. Entscheidend dabei ist: Ich entscheide souverän, wann ich an was in welcher Komplexität und mit welchem Impuls erinnert werden will. Der damit verbundene, bewusste Vorgang macht aktives Vergessen als Entlastungsfaktor erst möglich. Vorausgesetzt, ich kann meinen Helferlein vertrauen.
Stattdessen überbieten sich die Tools an pseudomenschlicher Verhaltenssimulation. Sie wollen aus meinem Verhalten lernen, mich gar verstehen und unablässig unter Beweis stellen, wie vorausschauend, ja intuitiv sie das Richtige für mich tun können. Das generiert dann einen Haufen dummes, unnützes Zeug.
„Clarity about what matters provides clarity about what does not.“
Cal Newport (Autor von Deep Work)
Individuelle Burnout-Erkennung
Persönliche KI-Assistenten sollen das alles noch viel besser können. Das befürchte ich auch. Sie heißen vielleicht bald „OrgaCoach“, „ SelfManAI“ oder „NannyGPT“. Sie kommen mit beruhigender Stimme, mildem Sarkasmus und der Fähigkeit, Aufgaben nicht nur zu priorisieren, sondern direkt zu erledigen – inklusive Ausreden fürs Nichtstun. Sie synchronisieren nicht nur Kalender, sondern auch die innere Verwirrung.
Morgens werden motivierende Halbwahrheiten geflüstert („Du schaffst das bestimmt – morgen.“), mittags wird ausschließlich Comfort-Food bestellt und dazu noch eine Dosis Well-being-Salbader abgesetzt. Und abends landet das schlechte Gewissen automatisch in einem Passwort-geschützten Archiv namens „Meine Wachstumspotenziale“.
Endlich muss man sich nicht mehr um sich selbst kümmern – das übernimmt jetzt eine KI mit Coaching-Zertifikat und Burnout-Erkennung in Echtzeit. Ich freu´ mich schon so drauf.
Menschliche Intelligenz statt menschliche Simulation
Alles weg damit? Keineswegs. Besonders die KI wird die Leistungsfähigkeit der Selbstmanagement-Tools noch einmal substanziell erhöhen. Aber auch dann werden sie uns nicht von uns selbst erlösen. Es reicht völlig, wenn sie uns dabei helfen, persönliche Unzulänglichkeiten und objektive Limitierungen mit smarter Technologie einigermaßen zu kompensieren. Damit wir genügend Zeit und Freiraum für den souveränen Einsatz unserer menschlichen Intelligenz haben. Nur darum geht es, nur darum.
Quellen & Beispiele für Tools zur Selbstorganisation
Artikel:
Ohne die Alten wird’s nichts
Der Wohlstand braucht graue Haare. Und die Generationen- transformation mehr kommunikatives
Drama.
Gut 12 Millionen Babyboomer verlassen bis 2036 den deutschen Arbeitsmarkt – und mit ihnen verschwinden ganze Schätze an Erfahrung, Wissen und Kompetenz in Schrebergärten, auf Golfplätzen und bei der Nachkommensbespaßung. Das eigentliche Problem dabei: Die heutigen Entscheider:innen wissen das und tun – fast nichts. Das wird nicht gut für sie.
Die Szene ist lange her. Eine Juniorberaterin steht vor mir und druckst rum: „Wir haben nächste Woche ein Kundenmeeting. Die wollen mal den Geschäftsführer sehen“. Kein Problem. Gibt’s Probleme? Nein. Was dann? Sie holt tief Luft: „Ich brauche deine grauen Haare“. Warum nicht.
Ich fand das richtig gut. Sie hatte verstanden, worum es geht. Sie brauchte Erfahrung, die sie selbst noch nicht haben konnte. Also den Chef geholt und gut gebrieft, damit er keinen Unsinn redet. Schließlich hatte er von dem Mandat keine Ahnung. Das Meeting lief super. Alle waren happy.
Transformation on the job
Eine vergleichsweise unscheinbare Anekdote. Vielleicht aber steht sie ganz gut für das, was Not tut, um die volkswirtschaftlichen Folgen des demographieinduzierten Brain Drain wenigstens einigermaßen abzumildern: Die umfassende Transformation der Generationenkompetenzen „on the job“.
Grafik: ChatGPT
KI und Migration allein…
Die ganze Hoffnung, so scheint es, liegt auf der Kombination aus sozial verträglicher Wohlstandsschutz-Migration, Künstlicher Intelligenz und einfach wieder mehr arbeiten. Eine ganz menschliche, nichtsdestotrotz naive Halluzination.
…werden es nicht richten
Eine McKinsey-Studie aus 2024 rechnet vor, dass allein im öffentlichen Dienst bis zu 165.000 Jobs durch KI-Systeme ersetzt werden können. Aktuelle Schätzungen summieren den Bedarf freilich auf rund 550.000 Arbeitskräfte.
In der Wirtschaft etablieren die Klugen schon seit längerem Projekte und Programme, die dem staatlichen Brain-Drain-Booster, vulgo Frühverrentung, entgegenwirken sollen. Leider sind die Klugen noch zu wenige.
Die Demografie lügt nicht – doch wir glauben fest daran.
Aller öffentlichen Debatten zum Trotz dominiert in Ministerien, Konzernzentralen, Behörden, Vorständen und deren Personalabteilungen nach wie vor ein toxischer Mix aus Selbstzufriedenheit, Digitalisierungsglaube und schlichter Rentenillusion.
Nicht die Boomer, die Mittelalten haben es in der Hand.
Auf die Boomer zu zeigen ist zwar legitim, doch das hilft nichts. Die Mittelalten sind es, die gerade das Thema, das auch ihr Thema wird, verschlafen. Sehenden Auges steuert die Generation 35 bis 55 – gut ausgebildet, strategisch klug, entscheidungsbefugt, machtbewusst, einkommensstark – auf eine volkswirtschaftlich prekäre Entwicklung zu. Übrigens nicht nur in Deutschland und Europa.
Volkswirtschaftliche Geisterfahrt
Abfindungsgetriebene Entsorgung, Teilzeit-Abschiebung, faktische Deaktivierung von Produktivkraft und Expertise. Die traditierten Instrumente zur Steigerung von Produktivität, Effizienz und Gewinnmargen sind nur noch bedingt zukunftstauglich. Sie entstammen einer noch nie da gewesenen Phase der Sorglosigkeit im Umgang mit lebenswichtigen Ressourcen.
Das gilt nicht nur für Mutter Erde. Das gilt mehr denn je auch für die Ressource Mensch. Zu viele, die gehen, sind noch leistungsfähig, motiviert, kreativ – und bereit, ihren Beitrag zu leisten. Wenn man sie nur ließe. Und das richtig anpackt.
Weckruf für die Politik - und die Generation Chefetage
Sicher muss die Politik ihren Teil zur Lösung beitragen, zum Beispiel durch die Vereinfachung arbeitsrechtlicher Hemmnisse. Erste Veränderungen deuten sich an. Aber auch die Unternehmen, Institutionen und Einrichtungen selbst sind gefordert, ihre eigene Gestaltungsmacht konsequenter zu nutzen.
High Potentials und Pension Performer
Es geht um nicht weniger als um einen umfassenden Transformationsprozess zwischen den produktiven Generationen - in beide Richtungen. Ja, es geschieht schon einiges: Reverse Mentoring, wo jüngere ihre älteren Kollegen die Digitalisierung nahebringen und die sich dafür mit Erfahrungswissen revanchieren. Kollegiale Coaching-Programme erfahrener Mitarbeiter:innen für junge Kolleg:innen. Altersteilzeit, diesmal als Beschäftigungsprogramm für „Pensions-Performer“ etc.
Konstruktive Disruption im Human Resources Management
Noch ist das viel zu wenig, vor allem zu wenig strategisch und nicht früh und effizient genug in den professionellen Alltag integriert. Mehr disruptives Denken in Verwaltung und Management tut Not: Statt die Alten als Belastung zu betrachten, sollten wir sie als Wissensdividende behandeln. Als Erfahrungsträger, Netzwerkknoten, Sparringspartner — als Teil der Lösung eben.
Knowledge Mining im eigenen Haus
Das Ziel muss doch sein, vorhandenes Erfahrungskapital aufzunehmen und zu verankern, solange deren Träger noch verfügbar sind. Intelligenterweise fängt das schon an, bevor die Betreffenden zum ersten Mal an´s Kürzer treten oder den Ruhestand denken.
Ein Stichwort lautet: Knowledge Mining. Viele Organisationen wissen nicht wirklich, was ihre Leute alles wissen. Was sind da für wunderbare kollaborative und generationenübergreifende Projekte denkbar, KI-gestützt, an der Mensch-Maschine-Schnittstelle und unbelastet von unproduktiven Karrierekonkurrenzen? Ihr Wert ginge weit über den rein technischen Vektorisierungsprozess der Inhalte hinaus.
Ohne die Alten wird’s schwer für die Jungen.
Abgesehen vom Demographiedrama, die Aktivierung und Kapitalisierung der Generationenressourcen ist schon allein aus Wettbewerbsgründen bitter nötig. Bis heute gründet der deutsche Vorsprung durch Technik auf einem Vorsprung durch Wissen. Als wissensgetriebener Wirtschaftsstandort kümmern wir uns fahrlässig schlecht um die gesamtgesellschaftliche Wissensentwicklung und ihre kulturelle wie ökonomische Wertschöpfung. Unser Wohlergehen basiert auf beidem.
Mehr Drama, mehr Druck, mehr Öffentlichkeit
Was hat das mit Kommunikation zu tun? Ganz einfach: Dem Problem fehlt es offensichtlich noch an entsprechender öffentlicher Dramatisierung. Solange die Aktionär:innen Corporate Germanys keinen Druck in Richtung Vorstände und Management ausüben, solange die Gestalter:innen-Generation 35 bis 55 glaubt, für ihre Rente reicht’s auch noch ohne mutige Entscheidungen, und solange in den Chefetagen der Verwaltungen keine produktive Unruhe ausbricht, solange wird auch die Politik glauben, sie käme mit ein paar Reförmchen bis zur nächsten Wahl davon.
Darauf sollten wir uns, Alte, Junge, Mittelalte, nicht einlassen.
Tun wir also etwas dagegen, wo immer wir können. Sorgen wir wir für mehr Öffentlichkeit und mehr Drama für das Thema wo immer es Sinn
macht.
Links zum Thema
Institut der Deutschen Wirtschaft: Abgang der Babyboomer
Studie der Bertelsmann-Stiftung: Zuwanderung für den Arbeitsmarkt
Die Welt: McKinsey-Studie: KI gegen Personalmangel
04 / 2025
"Readiness: das neue Kommunikationsprinzip.
Warum das neue Krisenkommunikationsmodell der US-Kommunikationswissenschaftler W. Timothy Coombs und Yan Jin für viel mehr gut ist als nur für Krisen. Zum Beispiel für von Reputationskrisen bedrohte Väter im Supermarkt..
Warum das neue Krisenkommunikationsmodell der US-Kommunikationswissenschaftler W. Timothy Coombs und Yan Jin für viel mehr gut ist als nur für Krisen. Zum Beispiel für von Reputationskrisen bedrohte Väter im Supermarkt.
„Nein, jetzt“, kräht sie, laut genug für alle zum Mithören. „Nein, zu Hause“, blafft er zurück, vielleicht ein bisschen heftiger als er eigentlich
wollte. Sie hält kurz inne. Ihr Blick wandert die Reihe der Zeugen entlang. Dann schaut sie ihn an. Ganz ruhig. Und fragt gut hörbar: „Schlägst du mich dann wieder?“
Kann man sich auf Krisen wirklich vorbereiten?
In seinem populär gewordenen SCCT-Modell (Situational Crisis Communication Theory) von 2007 empfiehlt W. Timothy Coombs, das kommunikative Handeln in Krisensituationen danach auszurichten, ob es sich um eine vermeidbare, eine zufällige oder eine Opferkrise handelt.
Mir kam das immer schon reichlich akademisch vor. Was hieße das denn für unser Vater-Tochter-Szenario? Eine Krise, die alles gleichzeitig ist: Im
Alter der Hauptakteurin kaum antizipierbar. Völlig zufällig ausgelöst im Wechselspiel exogener Reizüberflutung und ungefilterter Befindlichkeitsreflexe. Nur das Opfer stand vorher schon fest.
Eine wahre Begebenheit übrigens.
„Readiness“ - das neue kommunikatives Krisen-Framework.
Coombs neues Modell der Krisenkommunikation, entwickelt und 2024 veröffentlicht zusammen mit den Kolleg:innen Jin, Wang, van der Meer und Shrivers, gefällt mir schon besser: „Readiness“. Einfach immer für alles bereit sein. Ob im Mitarbeitergespräch, vor der Kamera oder in der familiären Risikosphäre.
Beim Ausflug in die kapitalistische Warenwelt mit einer vierjährigen Rotznase musst du grundsätzlich mit Erlebnis-Shopping in allen erdenklichen
Varianten rechnen, einschließlich einer veritablen Reputationskrise kurz vor der Kasse.
Was ist nun anders an der „Readiness“?
Das „Readiness“-Modell fokussiert nicht so sehr auf die Frage: Wie bereitet man sich auf die Krisen vor? Sondern: Warum machen wir uns nicht grundsätzlich krisenfähig? Und was genau braucht es dafür? Der Schlüsselbegriff heißt: „Mindset“.
Die exzellente, derzeit laufende DPRG-Campus Webinar-Reihe zum Thema Krisenkommunikation beschäftigt sich in insgesamt sieben Modulen mit dem „Readiness“-Modell. Ich habe das nachfolgende Chart mit freundlicher Genehmigung der Präsentation von Alexandra Bufe und Stefanie Effner aus Modul drei entnommen. Lesenswert auch die kurze Zusammenfassung von Norbert Minwegen und Bernhard Messer im aktuellen DPRG-Newsletter.
It´s the mindset, stupid.
Das „Framework“ der Forschergruppe strukturiert die kommunikative „Readiness“ im Zusammenwirken organisationaler „Prepardness“ und „Resilience“, geht aber substanziell darüber hinaus. Entscheidend ist der Fokus auf Bewusstsein und Selbstverständnis für die besonderen Anforderungen krisenkommunikativen Handelns.
Was mehr bedeutet, als nur passive Bereitschaft. Es geht um die Befähigung zum Umgang mit krisenhaften Situationen als kontinuierliche, im Tagesgeschäft selbstverständlich verankerte professionelle Haltungs-, Handlungs-, Führungs- und Managementmaxime.
„Readiness“ adressiert drei zentrale organisationale Dimensionen: Strategie, Struktur und Kultur. Jede dieser Dimensionen muss operationalisiert,
mit konkreten Kriterien hinterlegt und in Beziehung zur professionellen „Readiness“ gesetzt werden - egal, ob nun für die Krise oder das business as usual.
„Readiness“: Ein Paradigma, nicht nur für Krisenkommunikation.
In Zeiten, in denen Vertrauen und Gewissheiten allerorten schneller erodieren als Wassereis in Kinderhänden schmilzt, ist kommunikative „Readiness“ kein Sonderfallkonzept mehr. Das neue Modell hat das Zeug zum mentalen und operativen Betriebssystem für professionelle Kommunikation insgesamt.
Es wirkt wie eine Art Anleitung zur kommunikative Selbstbefähigung für den Umgang mit Überraschungen jeder Art, zur Vorbereitung auf das, was kommt:
die nächste Transformation, die nächste Debatte, der nächste Konflikt oder Skandal, die nächste Disruption - oder der nächste Ausraster an der Kaufhauskasse.
Nicht wirklich neu, aber das richtige Modell zu richtigen Zeit.
Der Grundgedanke ist alles andere als neu. Coombs und seine Kolleg:innen haben nur methodisch konsequent zusammengeführt, was bisher mehr oder minder fragmentiert als Einzelwahrheiten durch die Kommunikationsbranche und ihre wissenschaftlichen Think Tanks mäanderte.
„A crisis is a risk manifested“ schrieb der Doyen der US-amerikanischen Krisenkommunikationswissenschaften, Robert L Heath, in seinem 2009 zusammen mit H. Dan O`Hair veröffentlichen „Handbook of Risk and Crisis Communication“.
Heath erweiterte die Krisenkommunikation damit um die Dimension der ganzheitliche Risikowahrnehmung für unternehmerisches, institutionelles und personales Handeln. By the way eine paradigmatische Voraussetzung für praktisch wirksame „Readiness“.
Cyberkrisen erfordern „Readiness“.
Mit der steigenden Bedrohung durch Cyberattacken, digitale Spionage und Social Media gestützten Miss- und Desinformationsfluten hat der Begriff der „Readiness“ bereits in den letzten Jahren Einzug in einschlägige Cyber-Simulations- und Trainingskonzepte gehalten.
Die damit verknüpfte Erkenntnis ist noch viel älter. Haben wir Krisenkommunikator:innen nicht schon vor Jahrzehnten darauf gedrungen, die Erfahrungen und Routinen aus der Krisenkommunikation zum Operationsbesteck auch für die täglichen Eingriffe in die öffentliche Meinungsbildung zu machen?
Achtung: nicht intendiertes Selbstlob-Risiko.
In der Erstauflage meines Fachbuchs „Krisen-PR“ (F.A.Z.Institut, 2004) stand über dem ersten Kapitel als Überschrift: „Krisen sind normal“. Damals war das vor allem als „Mindset“-Aussage gemeint. Und ich war bei Weitem nicht der Erste und Einzige, der so dachte. Umso mehr bin ich heute überzeugt: Hierbei geht es nicht nur um den „Mindset“ allein, sondern um den danach ausgerichteten, operativen Alltag einer jeden Kommunikationsabteilung.
Holding Statement an der Kasse.
Was raten wir nun aber unserem Vater mit Tochter an der Kasse? Zum Holding Statement, dass er den möglicherweise entstandenen Eindruck, er würde seine Tochter schlagen, sehr ernst nehme, Gewalt grundsätzlich ablehne und eine schonungslose Untersuchung des Vorgangs zusichere?
Oder zur Pete Hegseth-Strategie: Leugnen, die Tochter jemals geschlagen zu haben, sie im Gegenzug der Lüge bezichtigen und dies als Beweis für ihren liederlichen Charakter anführen?
Oder einfach sofortige Flucht? Mit Kind und ohne Waren. Was meinen Sie, was meint Ihr? „Readiness“-mäßig, versteht sich.
Nachtrag: Besagter Vater hat seine Tochter noch nie geschlagen und wird das auch in Zukunft nicht tun.
Interessante Links zum Thema:
Journal of
Communication Management
emerald insight
https://www.emerald.com/insight/content/doi/10.1108/jcom-02-2024-0034/full/html?skipTracking=true
SSRN
https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=5060338&utm_source=chatgpt.com
„Handbook of Risk and Crisis Communication“, Robert L Heath, H. Dan O`Hair, 2009
Democracy Inc. vs liberale Marktwirtschaft.
Politik als business opportunity
Sollen Unternehmen, Inhaber:innen, Manager:innen politisch Stellung beziehen? Eine viel diskutierte Frage. Die nicht immer mit Politik und immer mehr mit der Wirtschaft selbst zu tun hat.
Ob nun heimtückisch inszeniert oder nicht, der weltöffentliche Eklat von Donald Trump und JD Vance mit Wolodymyr Zelensky hat historisches Anschauungsmaterial geliefert: für Generationen von Politik-Student:innen und deren Beschäftigung mit Diplomatie, für Medien-, Krisen- und Konflikttrainings jedweder Art.
Und für die Beantwortung der kontrovers diskutierten Frage, ob Unternehmen gesellschaftspolitisch Position beziehen dürfen oder sollen. Meine Meinung: Ja! Ganz unabhängig von dezidiert politischen Motiven. Warum?
Weil die neuen Regenten in Washington D.C. nicht nur die demokratisch legitimierte Welt- und Werteordnung des bisherigen Westens verbiegen. Sie
gehen auch daran, die sie tragende, liberale Markt- und Wirtschaftsordnung gleich mit zu zerstören.
Leitbild des MAGAismus: USA Inc.
Trumps intellektuelle Prätorianer beginnen damit, das Musterland des demokratisch konstituierten Kapitalismus zur oligopol gruppierten Corporate Democracy umzuformen. Im programmatischen Zentrum: die USA Inc.
Will sagen: Ein patrimonial (Max Weber) geführter, von möglichst wenig ordnungspolitischen Regeln und Strukturen beengter Mischkonzern namens
„Gesellschaft“, als sozio-ökonomisches Leitbild des mehrheitlich weißen und christlich geprägten Amerikas. Mit Anschlusserlaubnis auch für andere Ethnien und People of Color.
Politik als Geschäftsbesorgung
Die Spielregeln sind nicht neu: Das Recht der Stärkeren regiert, es überlebt, wer schneller zieht, the winner takes it all. Politik als einzige, große business opportunity. Das freut Unternehmer:innen, Aktionär:innen und Managementeliten. Und erleichtert deren steuerliche Alimentierung des verbliebenen, kostenminimierten Rumpfstaates.
Leute wie Elon Musk operieren da als höchst willkommene Identifikationsfiguren. Mal sehen, wie lange Trump und seine Leute dessen DOGE-Spasmen noch aushalten. Die Wetten sind eröffnet.
Und dem Rest? Wird das Heilige vom Himmel herunter versprochen. Zumindest soll mehr als genug für alle übrig bleiben. Vorausgesetzt, man gerät nicht
unter Wokeness-Verdacht.
Attacken auf die Freiheit, im Namen der Freiheit.
In diese Muster passen die Einschränkungen der Pressefreiheit. ABC und andere Sender werden massiv finanziell bedroht, unbotmäßige Medien von den Briefings ausgeschlossen. Trump lässt nur noch genehme Journalist:innen persönlich an sich ran.
Und Washington-Post-Besitzer Jeff Bezos untersagt der Kommentar-Redaktion mit Verweis auf die Bedeutung von„persönlicher Freiheit und freien Märkten“, ihre Meinung zu äußern, auf den Meinungsseiten der „Post“ wohlgemerkt. Pressefreiheit? Eine Firma braucht so etwas nicht.
„Manchmal weiß man erst, was man hat, wenn man merkt, dass es nicht selbstverständlich ist“, schreibt dazu der spürbar angefasste Textchef des Handelsblatt, Christian Rickens, am 27.02. in seinem Morning Briefing.
Wirklich offene Märkte sind immer auch offenen Meinungsmärkte. Sind sie es nicht, bleibt das ganze Gerede über die Freiheit der Märkte einfach nur
pseudoliberales Gerede.
JD, oder die Vervancung der Demokratie.
Trump und seine fundamentalen Sturmtruppen gehen auf alles los, was nicht bei Drei eine Bibel in die Luft hält oder den Pilgergang nach Mar-a-Lago verspricht. Zweifel an deren Skrupellosigkeit kann es spätestens seit der Aussetzung der Militärhilfe an die Ukraine nicht mehr geben.
Ganz vorne dran: JD Vance. Wir dürfen uns auf noch viele weitere Vervancungen unserer Demokratien freuen. Im Ernst: He´s the guy to watch. Zum
besseren Verständnis des aktuellen Amerikas empfehle ich ansonsten die Netflix-Serie „Yellowstone“, von und mit Kevin Kostner.
Globales Trio infernale.
Nicht nur die geo-, auch die marktpolitischen Rahmenbedingungen verdrehen sich. Mit seinem oligokratischen MAGA-Kapitalismus im demokratische Tarnanzug rückt Trump die USA nahe an die offen totalitäre Großrussland-Kleptokratie Putins und die High Tech-gesteuerten Sozio-Diktatur Chinas heran. Das neue Trio infernale des Planeten Erde.
„The free world needs a new leader“. Die Aussage von Kaja Kallas, Europas Außenbeauftragte, hat paradigmatische Bedeutung: Wer der freien Wertewelt
angehören will, benötigt zur entsprechenden außen- und handelspolitischen auch eine klare innere Haltung. Mehr denn je.
Einfach raushalten? Ein kapitaler Irrtum.
Liberale Marktwirtschaft braucht eine liberale, ökonomisch und sozial einigermaßen ausbalancierte Gesellschaft. Die Fraktion der marktradikalen Freiheitskämpfer:innen verweist dabei schnell auf die Verantwortung von Politik und Parlamenten, von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen. Ein kapitaler Irrtum. Spätestens hier beginnt sie, die viel beschworene Eigenverantwortung vom Markt und allen seinen Akteur:innen.
Jedes Produkt, jede Dienstleistung, jede Botschaft, jede unternehmerische Aktivität gestaltet die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des eigenen
Erfolgs mit. Und damit auch den Freiraum und die Freiheit zu erfinden, zu unternehmen, zu wirtschaften, zu profitieren.
Freiheit gibt es nicht „for free“.
Marktwirtschaft ist dann liberal und frei, wenn sie das Verhältnis von individueller und gesellschaftlicher Freiheit konstitutiv und produktiv mitgestaltet. Das zwingt niemanden zu politischen Bekenntnissen oder zu basisdemokratischen Debattierrunden im eigenen Betrieb.
Die demokratisch konstituierte Gesellschaft gewährleistet nach wie vor die besten rechtsstaatlichen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen für eine freiheitlich-liberale Markwirtschaft. Wer sie will, muss für deren Freiheit auch einstehen.
Wie und wo auch immer.
Interessante Links
„One word describes Trump“ - The Atlantic, 24. Februar 2025
Kommunikation stärkt die Demokratie - Symposium von DPRG, BdKom, GPRA und dem Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaften, Universität Leipzig. 09.April 2025
Von wegen „Fachkräfte sind nicht gemeint“ - Cihan Celik, F.A.Z. 26.02.2025
01/ 2025
Uns geht's zu gut. Wir müssen uns ändern.
Die politische Rhetorik dieser Tage wirkt wie ein Angstlust-Aphrodisiakum. Dabei wäre mutige Veränderungskommunikation dringend nötig. Hier könnte Politik von der Wirtschaft viel lernen.
Die Deutsche Angst
Mit der „German Angst“ wird im angelsächsischen Vokabular ein den gemeinen Deutschen unterstellter Hang zu angsthafter Überhöhung der normalen Lebensrisiken, aber auch mangelnde Courage, Zögerlichkeit, Entscheidungsschwäche, Mut- und Risikolosigkeit beschrieben. Das passt gut zur den aktuellen Wahlkampfdebatten.
Kein Wunder, bei all dem, was auf uns zukommt: Trump 2.0, Merz 0.5, Dunkelflauten, Karenztage, die digitale Gesundheitsakte, End of Homeoffice, Schienenersatzverkehr und vielleicht eine große Koalition.
Angst essen Seelen auf (R.W. Fassbinder)
„Ihr habt einfach zuviel Angst vor der Zukunft“, meinte neulich eine britische Beraterkollegin mit freundlicher Herablassung zu mir. Die sei ja nun mal höchst unberechenbar, entgegnete ich. Sie akzeptierte meine Antwort als „beinahe britischen Humor“.
Ausländischen Beobachter:innen mag man ihren Eindruck von den Deutschen nicht verdenken. Nach der Finanzkrise grassierte die Risikoangst. Während Corona schaukelte Ansteckungs- und Impfangst die Stimmung gegenseitig hoch.
Mit Beginn der E-Mobilität kam die Reichweitenangst. Und mit der Angst vor Krieg und Flüchtlingen wird zur Zeit erfolgreich um Stimmen für die Bundestagswahl geworben.
Wahlkampfkommunikation: Doppelstrategie mit der Angst
Angstlust als Wahlkampfstimulanz: Den Forderungen nach epochalen Veränderungen schwingen regelmäßig düstere „…sonst ist bald alles am Ende“- Ahnungen mit.
Glaubt man den Demoskopen, haben die Deutschen aber vor allem eines: Angst vor allzu großen Veränderung (Umfrage von Civey, Handelsblatt vom
02.01.2025)
Das wissen die Wahlkampf-Campaigner natürlich. Die kommunikative Lösung: Doppelstrategie. Angst an, Angst aus.
In die öffentlichen Untergangsdebatten werden mit steigender Tendenz sedative Zukunfts-Rezepturen eingestreut: Mütterente, Mehr für dich, Wohlstandsversprechen, Tax the rich usw. Will sagen: Mit uns wird am Ende alles gut, weil(fast) alles bleibt, wie es ist. Entsprechend glaubt laut Allenbachs die Mehrheit der Bevölkerung auch nicht an substanzielle Veränderungen durch eine neue Bundesregierung (F.A.Z. vom 23.02.2025).
Nur die AFD hofft auf möglichst viel wohlstandsbeschwerte Zukunftsangst bei ihren Mittelschichts-Sympathisant:innen, damit der ethisch degenerative und ökonomisch suizidale Charakter ihres Programms unentdeckt bleibt.
Und die Grünen hemmt mal wieder der schiere Glaube an das Gute ihrer Ideen, auch wenn die Art der Kommunikation deren erwartbare öffentliche Zerstörung provoziert.
Keine Angst vor Veränderungen. Lernen von der Wirtschaft
In der Wirtschaft herrscht weitgehende Einigkeit: Von uns lernen, heißt siegen lernen. Transformationsprozesse? Völlig normal. Disruption? Immer wieder unvermeidbar.
Change-Management-Fähigkeiten gehören mittlerweile zum Standardrüstzeug erfolgreicher Manager:innen. Veränderungskom-munikation ist längst zur eigenen Kommunikationsdisziplin gereift.
Ein paar Beispiele nur: Siemens, vom traditionellen Industriekonzern zum führenden Anbieter für digitale Lösungen und 4.0-Technologien.
Adidas, vom fränkischen Sportschuhmacher zur globalen Designer-marke mit durchdigitalisierten Produktions- und Direktvertriebs-strukturen. Microsoft, Ikea, Lego und viele mehr. Beispiele erfolgreicher Veränderungsprozesse gibt es zuhauf.
Ins Risiko gehen
Was also haben die Kaesers und Nadellas besser gemacht als die deutsche Politik? Halt! Tatsächlich seien mehr Change-Prozesse gescheitert als gelungen, sagen Branchenkenner:innen zurecht.
Ein paar Gründe nur: Unklare und falsche Ziel- und Strategieentscheidungen, Fehleinschätzungen der Marktentwicklung, ungenügende Kommunikation, Widerstand von Management und Mitarbeitenden, mangelnde Flexibilität und Lernfähigkeit etc.
Richtig, doch eine Tatsache bleibt: Diejenigen, die Veränderungen erfolgreich initiiert und gestaltet haben, hatten vor allem eines: Mut zum Risiko. Nicht blind, nicht im im Affekt, sondern klug, kompetent, kalkuliert und vorbereitet.
Sie waren bereit, mehr zu wagen, als voraussehbar war. Sie haben die Komfortzone verlassen, ihre Leute mitgenommen, angesteckt, inspiriert und geführt.
Erfolgskritische Kommunikation
Wer verändern will riskiert etwas. Das ist in der Wirtschaft nicht anders als in der Politik. Gewohnte Sicherheiten gehen verloren, neue müssen aufgebaut werden.
Schnell muss klar sein, worin die Veränderungen bestehen und worin nicht, wen sie betreffen und wen nicht, wem sich neue Chancen bieten und wer neue Chance braucht.
Das bedarf einer klaren, glaubwürdigen und konsistenten Kommunikation, mit nachvollziehbaren Wegmarken und realitätsfesten Zielbildern.
Habeck und seine Leute hätten gut daran getan, vor dem Launch des Heizungsgesetzes mal bei Vissmann, Bosch oder der einen oder anderen Handwerkskammer zu einem intensiven Austausch vorbeizuschauen.
Wohlstand eats Mut zum Risiko for breakfast
Mut zum Risiko ist eine gesellschaftliche Kernkompetenz. Ohne unternehmerische Risiken keine Erträge und Steuern. Ohne wissenschaftliche Risiken kein Fortschritt.
Ohne künstlerische Risiken keine Kultur. Ohne politische Risiken kein gesellschaftliches Vorankommen. Ohne individuelle Risiken keine zukunftsweisenden Entscheidungen.
Der Eindruck drängt sich auf, dass diese Kompetenz gerade in den demokratischen Wohlstandsgesellschaften verloren geht. Geht es uns einfach schon zu lange zu gut?
Im aktuellen Bundestagswahlkampf erweisen sich, mit wenigen Ausnahmen, die politischen Akteur:innen wieder mal als wahre Volksvertreter:innen. Zu wenig Mut zur Wahrheit. Dabei müssen wir so vieles ändern.
„German Angst“ im intellektuellen Mittelstand
Geradezu prototypisch verkörpert F.A.Z.-Kommentator Jasper von Altenbockum, was mit der „German Angst“ gemeint sein könnte.
„Was aus Deutschland wird, weiß niemand“ melodramatisiert er am 16.01.2025 zur deutschen Abkehr von der Atomenergie.
Statt die „bewährte Methode“ Kernkraft zu nutzen, setze Deutschland auf Wasserstoff, und zwar „ergebnisoffen“. Noch beim Lesen spürt man den Schreck des Autors nach seinem finalen Satz.
Aus Altenbockum spricht die Angst derer, die Veränderung nur wagen, wenn das Neue schon Rendite und Rente verspricht, oder wenigstens eine
Misserfolgsversicherung beinhaltet. Ist das konservativ? Ist das liberal? Oder einfach nur spießig? Auf jeden Fall nicht innovativ und schon garnicht wettbewerbsfähig.
(Zum Thema Kernenergie empfehle ich als Lektüre die Aufbereitungen von Dirk Specht zum Bericht des französischen Rechnungshofes sowie zum aktuellen Berichts der IEA (Int. Energy Agency)).
Zukunftsangst schafft keine Zukunft
Die politische Kommunikation dieser Tage dokumentiert, woran es insgesamt mangelt: an einer positiven Risikokultur. Die Impulse setzt, motiviert,
bildet, fordert, fördert und antreibt. Die denen, die das Unmögliche versuchen, die Freiheit lässt, es zu versuchen.
Und den Rahmen für jene setzt, die ihren Beitrag ihren Möglichkeiten entsprechend leisten. Die Produktivität und Engagement belohnt, egal wo, von wem, wie klein oder groß.
Die gesellschaftliche Grundlagen respektiert und die Freiheit der Einzelnen wahrt, weil sie alle in die Verantwortung nimmt.
Mit Singen und Tanzen allein wir das jedoch nichts werden. Erst recht nicht, wenn man Freunde hat wie Donald Trump.
Mut zum Risiko braucht Mut zur Wahrheit. Den hat unsere politische Klasse weitgehend verloren. Das könnte einem glatt Angst machen.
Kommentare und Feedback willkommen